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Hohen Neuendorf (MZV) Rollfilme, Großformatkameras, Polaroid-Passbilder: Seit einem halben Jahrhundert besteht das Tham-Fotoatelier in Hohen Neuendorf. Zu Zeiten von Altmeister Alfred Tham und seiner Frau Brigitte lief manches noch anders. Geblieben ist der Blick für gute Motive - auch bei ihrer Tochter Julia.

"Ameisenscheiße." Das haben sie sehr wahrscheinlich viel öfter gesagt als andere Leute. Ein bisschen gehört es zum Fach: Das Wort zieht beim Sprechen die Mundwinkel nach oben und entspannt die Situation.

Familie Tham kennt in Hohen Neuendorf fast jeder ältere Mensch, der schon mal Passbilder oder Bewerbungsfotos von sich gebraucht hat, der sich im Hochzeitsstaat verewigen lassen wollte, ein Firmenjubiläum gefeiert hat oder ein Repro für eine Beerdigung brauchte. "Früher haben die Leute ja nicht viel selbst fotografiert", sagt der Fotograf Alfred Tham. "Längst nicht jeder hatte einen Fotoapparat." Und es war auch schwieriger, damit umzugehen.

In den 1950er-Jahren galt der Beruf des Fotografen in der DDR als Frauenarbeit - und kam deshalb für Alfred Tham nach der Schule erst einmal nicht infrage. Also lernte der junge Mann, der nach 1946 als Zehnjähriger aus dem Riesengebirge nach Hohen Neuendorf gekommen war, Industriekaufmann. In der Firma gestaltete er damals schon Prospekte, wohl ein Schritt in die für ihn richtige Richtung.

Als in der Humboldt Universität nach dem Mauerbau dringend Leute gesucht wurden, wechselte Alfred Tham, machte die Ausbildung und die Meisterprüfung zum Fotografen. Da wurden unter anderem Dias von Operationen für Vorträge gefertigt, Mikroskop-Fotografie für andere Fachbereiche oder auch mal Fotos von den Professoren.

1965 ergab sich dann die Möglichkeit, sich in Hohen Neuendorf selbstständig zu machen. Die hat Alfred Tham genutzt. Gerne war er mit seiner Exakta-Varex-Kleinbildkamera unterwegs oder mit dem Mittelformat Pentacon Six. "Actionfotografie war schon mehr mein Ding", sagt Alfred Tham. Auf engstem Raum in dem Eckgeschäft in der Schönfließer Straße wurden die Bilder entwickelt und die Kundschaft empfangen. Die Arbeit im Geschäft hat zum guten Teil Brigitte Tham übernommen, und sie war für die Porträts zuständig. Zunächst Laborantin im Eisenforschungsinstitut Hennigsdorf, legte sie später bei ihrem Mann die Prüfung zur Fotografie ab. Die Familienfirma nahm auch Filme von Amateuren zum Entwickeln an. Kinderfotografie, Freundschaftsbilder und Fotos für die Betriebe in der Umgebung rundeten das Angebot ab.

Nach der politischen Wende musste viel investiert werden, und jahrelange Rückübertragungsansprüche belasteten die Arbeit. Doch sie konnten bleiben. Nun hat längst die digitale Fotografie auch bei den Thams Einzug gehalten, und darüber sind sie auch froh. Früher war eben nicht alles besser, schon gar nicht die giftige Chemie im Labor. "Obwoh das Problem damit an sich nur verlagert ist", gibt Alfred Tham zu bedenken, "Chip-Produktion ist ja auch mit viel Schadstoffen verbunden."

Doch der einzelne Fotograf hockt nicht mehr, Entwicklerlösung schwenkend, in der Dunkelkammer, wird von den Ausdünstungen des Fixierbads nicht mehr eingenebelt und muss nicht darauf achten, dass das Wasser für die Farbfotos ein halbes Grad zu warm sein könnte.

"Ich bin froh, dass ich nicht in so einem dunklen Labor sitzen muss", sagt Julia Tham, die als Kind ihre Eltern oft bei der Arbeit beobachtet hat. "Dann wäre ich nie Fotografin geworden." Sie bearbeitet die Bilder am Rechner weiter und schickt sie an ein Labor. "Mir ist der Kontakt mit den Menschen am wichtigsten", sagt sie. Julia Tham möchte nicht nur im Studio bei Aktaufnahmen mit Schwangeren für eine vertrauensvolle Atmosphäre sorgen - das ist sowieso eine Bedingung. Es ist aber auch nicht damit getan, jemanden für ein Passbild abzulichten. Julia Tham stellt auch Ansprüche an sich und ihre Arbeit, die so beschaffen sein muss, dass sie ihr Zeit lässt für gesellschaftspolitisches Engagement und selbst Ansätze und Anlässe bietet, mit anderen ins Gespräch zu kommen. An ihr Angebot "Free Hugs", die "Gratis-Umarmungen", haben sich viele, die den Laden betreten, schnell und gern gewöhnt. Das Schild steht immer noch auf dem Tresen, und es ist ernst gemeint. Jeder kann eben am besten von seinem eigenen Platz aus anderen helfen, sagt sich Julia Tham.

Sie ist auf Umwegen zu dem Beruf gekommen. Die 46-jährige Mutter zweier Töchter hat eine Lehre zur Friseurin absolviert, um Maskenbildnerin zu werden, und war einige Jahre für das Maxim-Gorki-Theater sowie für Film und Fernsehen tätig. Nebenher studierte sie Lebensmitteltechnik und Politikwissenschaften. Der Wechsel ins Geschäft der Eltern war ein bewusster Schritt, weil sie als Maskenbildnerin viel öfter unterwegs sein musste als ihr lieb war.

So wurde Alfred Tham noch einmal zum Lehrherrn: Ab 2001 absolvierte Julia Tham die Ausbildung, und 2005 übernahm sie das Geschäft der Eltern. "Ja, das bedeutet uns schon etwas", sagt Brigitte Tham, während sie in alten Alben blättert. Die Zeiten waren manchmal schwierig fürs Geschäft, und leicht ist es für Julia Tham in einem Zeitalter, in dem jeder seine kleine Digitalkamera zückt, auch nicht. "Qualität setzt sich aber durch", hat sie festgestellt. Wer einmal da war, kommt auch wieder.

Das Betriebsjubiläum wird am Sonntag, 1. November, im Tham-Fotoatelier ab 11 Uhr mit den Kunden begangen. Eigene Negative, die noch in Thams Archiv lagern, können gegen eine Spende mitgenommen werden. Alte Ansichten von Hohen Neuendorf gibt es zu kaufen. Ab 15 Uhr spielt das Duo "Walking With Sound" in der Schönfließer Straße 21 Live-Musik.

(http://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/1432064/)


 

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