Während und nach einer Tumorerkrankung bemühen sich Frauen intensiv um soziale Unterstützung; bei Männern ist dieses Bedürfnis weniger ausgeprägt, berichtet Professorin Dr. Dr. Mechthild Neises (Medizinische Hochschule Hannover). Patientinnen nehmen häufiger an psychoedukativen Gruppengesprächen teil als Patienten, obwohl ein Nutzen für Angehörige beider Geschlechter offensichtlich ist.
"In einer qualitativen Studie erwarteten Frauen von Ärzten und
Pflegenden sowohl Informationen als auch emotionale Unterstützung.
Männer dagegen empfanden emotionale Unterstützung von Behandlern eher
als unangemessen und erwarteten" lediglich hilfreiche Informationen.
"Männer zeigten mit der Unterstützung, die sie erhielten, generell eine
größere Zufriedenheit, während Frauen gegenüber den Behandlern kritisch
einschätzten, dass diese nicht genügend Zeit hätten, Unterstützung zu
gewähren."
Neises empfiehlt: "Die Psychotherapie bei schwerer körperlicher
Erkrankung, ebenso wie bei Belastung durch Lebensbedrohung, hat sich
weniger auf die psychische Entwicklung und deren verinnerlichte
Erlebens- und Verhaltensmuster zu beziehen als vielmehr auf eine
Wiederherstellung des Selbstgefühls und der Selbstsicherheit."
Neises warnt ihre Kolleginnen: Patientinnen mit Mammakarzinom können
insbesondere bei Ärztinnen Abgrenzungsprobleme auslösen. "Die
statistische Wahrscheinlichkeit, selbst an einem Mammakarzinom zu
erkranken, ist sehr hoch. Die Ärztin wird mit ihren eigenen Ängsten,
möglicherweise selbst zu erkranken, konfrontiert. Die eigenen
Abwehrreaktionen müssen daher reflektiert werden, um nicht mit der
Patientin eine verleugnende Haltung einzunehmen. Abgrenzungsprobleme
können entstehen, wenn die Therapeutin sich als Adressat von
Heilungswünschen der Patientin ansieht und für deren Erfüllung
Verantwortung" übernimmt ...
Mechthild Neises, Gerhard Schmid-Ott (Hrsg.):
Gender, kulturelle Identität und Psychotherapie
Pabst, 296 Seiten, ISBN 978-3-89967-366-1